Charta der deutschen Heimatvertriebenen

60 Jahre Baden-Württemberg

Tag der Heimat in Stuttgart am 16. Sept. 2012

Aus diesem Anlass der folgende Text zur Erinnerung:

 

Charta der deutschen Heimatvertriebenen

Im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen, im Bewusstsein ihrer Zugehörigkeit zum  christlich-abendländischen Kulturkreis, im Bewusstsein ihres deutschen  Volkstums und in der Erkenntnis der gemeinsamen Aufgabe aller europäischen Völker, haben die erwählten Vertreter von Millionen Heimatvertriebenen nach  reiflicher Überlegung und nach Prüfung ihres Gewissens beschlossen, dem  deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit gegenüber eine feierliche Erklärung  abzugeben, die die Pflichten und Rechte festlegt, welche die deutschen  Heimatvertriebenen als ihr Grundgesetz und als unumgängliche Voraussetzung für  die Herbeiführung eines freien und geeinten Europas ansehen.

1.   Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluss ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im Besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.

2.   Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.

3.   Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.

Wir haben unsere  Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. Gott hat die Menschen in ihre Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet, ihn im Geiste töten.

Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen zu verlangen, dass das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird.

So lange dieses Recht für uns nicht verwirklicht ist, wollen wir aber nicht zur Untätigkeit verurteilt beiseite stehen, sondern in neuen, geläuterten Formen verständnisvollen und brüderlichen Zusammenlebens mit allen Gliedern unseres Volkes schaffen und wirken.

Darum fordern und verlangen wir heute wie gestern:

1.  Gleiches Recht als Staatsbürger nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch in der Wirklichkeit des Alltags.

2.  Gerechte und sinnvolle Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze deutsche Volk und eine ehrliche Durchführung dieses Grundsatzes.

3.  Sinnvollen Einbau aller Berufsgruppen der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes.

4.  Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen in den Wiederaufbau Europas.

Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden.

Die Völker sollen handeln, wie es ihren christlichen Pflichten und ihrem Gewissen entspricht.

Die Völker müssen erkennen, dass das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen wie aller Flüchtlinge, ein Weltproblem ist, dessen Lösung höchste sittliche Verantwortung und Verpflichtung zu gewaltiger Leistung fordert.

Wir rufen Völker und Menschen auf, die guten Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.

 

Stuttgart, den 5. August 1950

Apatiner Heimatblätter

Mitteilung an die Apatiner in aller Welt

 

Im Heft Nr.8 von 1959 schreibt Josef Senz, Oberlehrer, Schriftleitung der „Apatiner Heimatblätter“:

 

Die bis Ende 1949 herausgebrachten „Apatiner Heimatblätter“ beginnen mit diesem achten Heft wieder den Weg zu den Apatiner Landsleuten. Sie setzen die damals aufgenommene Tätigkeit im Geiste der Liebe und Verbundenheit zur Heimat fort. Es soll das notwendige lebendige Band um die über die weite Welt zerstreute Apatiner Gemeinschaft geschlungen und zu einem allzu raschen Versickern unserer guten Gemeinschaftskräfte entgegengewirkt werden. Drei große Aufgaben stellen sich auch jetzt noch der Apatiner Gemeinschaft, den überlebenden Apatinern:

1. Mithilfe in der Erfassung und Bewertung unseres materiellen Besitzstandes, um eine gleichberechtigte materielle Eingliederung in die entsprechenden Ausschüsse im Rahmen der Heimatauskunftsstelle ist erforderlich.

2. Mithilfe in der Erfassung und Aufgliederung unseres bevölkerungsmäßigen Besitzstandes: es müssen gassenweise nach Familien alle Apatiner erfasst werden, die im August 1944 vor der Vertreibung in Apatin zuständig waren. Diese Arbeit ist seit zwei Jahren im Gange und soll bis zum November dieses Jahres für den Beauftragten für die Gesamterhebung der deutschen Bevölkerung in Jugoslawien abgeschlossen werde; für uns sollte sie erst dann abgeschlossen sein, wenn wir wirklich ein lückenloses Verzeichnis aller vor der Vertreibung in Apatin zuständigen  Personen erstellt haben, wenn wir die Gefallenen des Krieges und die Toten der Vertreibung aufgezeichnet und den Überlebenden und Nachfahren zum ehrenden Gedenken übergeben haben.

3. Erstellung einer schriftlichen Darstellung als Dokumentation unseres Lebens und Schaffens in der Gemeinde Apatin, als Denkmal des Dankes und der Würdigung für die Leistung und das Werk unserer Ahnen: der donauschwäbischen Großgemeinde Apatin. Damit der Apatiner Ausschuss diese drei großen Aufgaben noch meistern kann, benötigt er die Mithilfe und das Verständnis aller Apatiner, handelt es sich doch dabei um Aufgaben, die die ganze Apatiner Gemeinschaft berühren. Zur Durchführung dieser Aufgaben werden die „Apatiner Heimatblätter“ wieder erscheinen, die im Jahr zweimal die Verbindung unter den Apatinern in aller Welt herstellen und die Mitarbeit und Mithilfe aller Apatiner ermöglichen sollen. Der Apatiner Ausschuss ruft alle Landsleute zu dieser Mitarbeit und Mithilfe auf, die sich mindestens darin kundtun soll, dass die Bezugsgebühr für die „Apatiner Heimatblätter“ geleistet, die Aufgabe befolgt und notwendige  Karteikarten und Erhebungsblätter genau ausgefüllt werden. Nur so werden wir der großen Aufgabe für unsere Gemeinde zufriedenstellend durchführen können, ähnlich, wie sie von kleineren donauschwäbischen Gemeinden bereits vorbildlich erfüllt sind. Die Apatiner waren immer stolz auf ihre Gemeinde. Wir wollen nicht weniger stolz auf die überlebenden Apatiner sein, auf ihre Heimatöliebe und Leistungsbereitschaft, wenn es sich um die Ehre der Apatiner Gemeinschaft handelt.

 

Mit den besten Wünschen grüßt alle Apatiner in landsmannschaftlicher Treu und Herzlichkeit

 

Straubing, den 15. August (Maria Himmelfahrt) 1959

 

                                                                                  Josef  Senz, Oberlehrer

                                                                Schriftleitung der „Apatiner  Heimatblätter“

Apatiner Ausschuss

Entnommen den Apatiner Heimatblättern, Heft 8, im Jahre 1959

 

Um die Verbindung unter den überlebenden Apatinern herzustellen und um das 200jährige Bestehen der Gemeinde Apatin in einer unseren Ahnen würdigen Gedenkfeier zu begehen, haben sich einige verantwortungsbewusste Apatiner Männer zu einem Apatiner Ausschuss zusammengeschlossen. Am 22. März 1948 traf dieser sich zum ersten Mal in München, um über die Vorbereitung, Abhaltung und Gestaltung der 200-Jahrfeier der Gemeinde Apatin zu beraten. Es wurde ein Aufruf an alle Apatiner beschlossen, eine Apatiner Kartei errichtet, die „Apatiner Heimatblätter“ in 7 Folgen sowie die Festschrift „Apatin und die Apatiner“ herausgebracht und am 6. Und 7. August 1949 in der Nibelungenstadt Passau die Jubiläumsfeier Apatins in großartiger Weise durchgeführt. Die Apatiner 200-Jahrfeier verbunden mit einem südostdeutschen Heimattreffen war die erste donauschwäbische Großveranstaltung und das erste große Heimattreffen in der Bundesrepublik. Bei schönem Sommerwetter verlief die Apatiner Ansiedlungsfeier und das große Schwabentreffen und gestaltete sich zu einem fröhlichen Wiedersehen von Landsleuten, Freunden, Verwandten und Bekannten, die sich nach Jahren der gewaltsamen Trennung und Zerstreuung die Hände reichten, aussprechen und in die Augen schauen konnten. Die Jubiläumstage der Apatiner 200-Jahrfeier in Passau haben Zeugnis abgelegt von der grenzenlosen, unverbrüchlichen Zusammengehörigkeit eines Volksstammes, der, wenn auch in alle Welt zerstreut, auf seine Vergangenheit, seine Ahnen, seine Heimat, seine Leistung und auf sein Recht nicht verzichten will, um sang- und klanglos von der Bildfläche des Geschehens zu Verschwinden.

 

In seinem Abschlussbericht an die Apatiner Landsleute teilt der Apatiner Ausschuss unter anderem folgendes mit:

 

„Die Verbindung unter den Apatinern soll auch in Hinkunft nicht ganz zerreißen. Sobald sich materielle Mittel für diese Zweck wieder auftreiben lassen, soll dann wenigstens jährlich ein Heimatblatt unseren Landleuten vorgelegt werden. Besonders wäre auch ein Anschriftenverzeichnis der Apatiner erwünscht.

 

Die „Apatiner Kartei“ wird weitergeführt.

 

Alle Landsleute werden aufgefordert, auch in Hinkunft die Verbindung untereinander, die Treue zu den Ahnen und der alten Heimat aufrecht zu erhalten, damit ihr Geist und ihr Werk in uns und durch uns so lange fortlebe, bis auch für uns wieder lichtere Tage kommen werden.

 

Wenn auch die „Apatiner Heimatblätter“ aus finanziellen und arbeitsmäßigen Gründen dann nicht mehr erscheinen konnten, so wurden doch von Zeit zu Zeit über die landsmannschaftliche Presse Mitteilungen an die Apatiner und Berichte über Apatin durchgegeben, die das Wissen voneinander und die Bindung zueinander stärken und lebendig hielten.

 

Im Zuge der materiellen und rechtlichen Eingliederung ergaben sich dann weiter wichtige Aufgaben für die Apatiner Gemeinschaft, die einen Apatiner Ausschuss wieder notwendig machten. Die Durchführung des Lastenausgleichs veranlasste die Heimatauskunftstelle die Bestellung von Ortsvertrauensmännern oder Ortsausschüssen zu empfehlen. Die von der Bundesregierung veranlasste Gesamterhebung der Bevölkerung in allen Vertreibungsgebieten, bracht auch für Apatin wieder die Notwendigkeit der Bestellung eines Ortsbeauftragten und eines Ortsauschusses zwecks Durchführung der Erfassung unseres bevölkerungsmäßigen Besitzstandes. Alle diese großen Aufgaben unserer ganzen Gemeinde können nur verfolgt und durchgeführt werden, wenn sich ein verantwortungsbewusster Apatiner Ausschuss in Zusammenarbeit mit allen Landsleuten ihrer annimmt. Josef Senz als Ortsbeauftragter hat sich deshalb in all den Jahren bemüht, einen solchen Apatiner Ausschuss mit arbeitswilligen Apatiner Mitarbeitern zu bilden und die Apatiner Landsleute von Zeit zu Zeit durch die Presse, bei landsmannschaftlichen Zusammenkünften sowie Apatiner Treffen auf diese Arbeit im Interesse der ganzen Apatiner Gemeinde und Gemeinschaft hinzuweisen und zur Mithilfe aufzurufen. Ludwig Schwager, Ferdinand Lorch, Josef Hauk, Josef Moser, Adam Janz, Ignaz Brandt, Hans Strumberger, Oberlehrer a.D. Franz Buschbacher, Anton Notheiß, Pfarrer Peter Schröder u. a. stellten sich immer in den Dienst dieser gemeinsamen Apatiner Aufgaben und ermöglichten dadurch den notwendigen Dienst an den Apatiner Landsleuten, an der Heimat und den Ahnen zu erfüllen. Ihnen allen sei herzlichst gedankt.



Die Gründung der Apatiner Gemeinschaft e.V.

In den Apatiner Heimatblättern Heft 47, vom Januar 1975, wird „die Errichtung der Apatiner Gemeinschaft und die Schaffung der Apatiner Stiftung als eingetragener Verein“ bekanntgegeben:

 

An alle Apatiner Landsleute!

 

Betr.: Apatiner Gemeinschaft – Apatiner Stiftung

 

Seit mehr als 25 Jahren vollbringt ein von einem engen Kreis verantwortungsbewusster Personen getragener Apatiner Ausschuss für die Apatiner Ortsgemeinschaft Leistungen, die sich sehen lassen können: die Apatiner Heimatblätter, die Apatiner Kartei, die Durchführung der Apatiner 200-Jahrfeier in Passau 1949, das Apatiner Heimatbuch, die Apatiner Beiträge und das Apatiner Archiv seien in diesem Zusammenhang erwähnt.

 

Nun wurde bei der Arbeitstagung und beim Festakt der Apatiner 225-Jahrfeier 1974 in München die Errichtung der Apatiner Gemeinschaft und die Schaffung der Apatiner Stiftung als eingetragener Verein einstimmig beschlossen. Die diesbezügliche ENTSCHLIESSUNG lautet:

 

Anlässlich der Apatiner 225-Jahrfeier wird als sichtbare Verkörperung unseres Willens zur Gemeinschaft und zu umfassenden Selbsthilfe die APTINER mit der APTINER STIFTUNG errichtet

 

als lebendiges Kind unserer Heimatliebe,

 

als tätige Einrichtung unseres Dankes an die Vorfahren,

 

als wirkendes Denkmal des Gedenkens an unsere Toten,

 

um die Weiterführung der Arbeit zur Wahrung und Pflege unseres Gemeinschaftserbes zu sichern.

 

Der in München am 17. August 1974 beauftragte Ausschuss hat zunächst je einen Satzungsentwurf für die Apatiner Gemeinschaft und für die Apatiner Stiftung ausgearbeitet und diese bei seiner Beratung am 21. Dezember 1974 in Neutraubling einhellig gebilligt. Einen Auszug der wichtigsten Bestimmungen dieser Satzungen bringen wir an anderer Stelle dieses Heftes. Um einem je größeren Kreis der Apatiner Landsleute den Beitritt zur Apatiner Gemeinschaft zu ermöglichen, wurde als Jahresbeitrag 12,-- DM festgesetzt. Zur Bildung des vorgesehenen Grundstockvermögens der Apatiner Stiftung wird jeder Apatiner um ein entsprechend großzügiges Geburtstagsgeschenk für unser gemeinsames Kind – die Apatiner Stiftung – als Gründungsbeitrag ersucht. Wir bitten alle Landsleute, den beigefügten Aufruf mit Zahlkarte zu beachten und sich ihrer zu bedienen. Besten Dank!

 

Ob eine Gruppe Ehre und Ansehen gewinnen kann, hängt davon ab, was ihre Gemeinschaft hat, was sie als Gemeinschaft aufzubringen und zu leisten vermag. Jeder einzelne, und mag er noch so viel erworben haben an Geld und Gut, er kann nichts ins Jenseits mitnehmen. Was wir aber der Gemeinschaft überlasse, was wir für sie tun, opfern und leisten, das wirkt auch nach uns noch zum Wohle und Ansehen unserer Gruppe, d. h. mittelbar auch zu unserem eigenen Wohle und Ansehen!

 

Wir haben im Sommer 1974 in würdiger Weise der Gründung der Apatiner Gemeinde vor 225 Jahren durch unsere Vorfahren gedacht. Die Gemeinde Apatin ermöglichte Generationen von Apatinern Leben und Leistung. Die vertriebenen und in alle Welt zerstreuten überlebenden Apatiner sind Erben eines großen und stolzen Erbes. Dieses Erbe zu bewahren und zu pflegen ist die gemeinsame Aufgabe aller Apatiner, ist der durch die Satzung festgelegte Zweck der Apatiner Gemeinschaft und der Apatiner Stiftung. Das sollten wir Apatiner erkennen und uns dazu auch durch die Tat bekennen!

 

Alle Apatiner sind aufgerufen, der Apatiner Gemeinschaft als Mitglied beizutreten, der Apatiner Stiftung ein Geburtstagsgeschenk darzubringen. Jeder, dem unsere Vorfahren und unsere Erben noch etwas bedeuten, muss mitmachen; keiner sollte sich ausschließen!

 

 

Die Apatiner Gemeinschaft und die Apatiner Stiftung werden sich am 12. April 1975 in Neutraubling im Rahmen einer ersten Mitgliederversammlung als Körperschaft konstituieren.

 

 

Der Gründungsauschuss

 

Josef Volkmar S e n z

 

Dr. Robert Bacsvary, Peter Brandt, Josef Hauk, Rosina Huber-Arpasch, Josef Moser, Hans Ruderschmidt, Ignaz Kohler, Anton Scherk, Michael Schiller, Fritz Speiser.

 

 

Träger der Apatiner Stiftung sind bisher

 

als GRÜNDER: Josef Volkmar Senz und Johann Kämmerer;

als STIFTER: Josef Moser und Valentin Eppert;

als FÖRDERER: Johann Strumberger, Therese Turath, Rosina Huber-Arpasch, Konrad Gerescher, Franz Kohler und Peter Brandt;

als HELFER: Josef Schwendt, Josef Mertl und Msgr. Dr. Raimund Amann.



Was war vor 300 Jahren?

Zum Feiern besteht nicht eigentlich Anlass, zum Erinnern und Nachfragen aber unbedingt, schrieb Rüdiger Bäßler am 8. Mai 2012 in der Stuttgarter Zeitung.





 

Vor 300 Jahren bestiegen in Ulm zum ersten Mal Tausende Menschen Flussholzboote und schifften sich mit wenigem Hab und Gut die Donau hinab, in der Hoffnung, in Ungarn oder Rumänien ein neues Leben beginnen zu können. 1712 begann der erste von drei staatlich organisierten sogenannten Schwabenzügen. Mindestens einen weiteren großen, privat organisierten Wanderungszug gab es außer-dem. Bis 1786 waren geschätzte 400 000 überwiegend deutschstämmige Reichsuntertanen nach Südosteuropa ausgewandert[…] Das Versprechen der Anwerber erfüllte sich nicht immer, denn in der neuen Heimat wartete keine goldene Zukunft. Viele Auswanderer, speziell aus der ersten Emigrationswelle, fanden Krankheit, Elend und einen frühen Tod.

Nicht selten waren auf einer „Ulmer Schachtel“ mehr als 200 Menschen, die mit dem Strom in Richtung Ost-Südost trieben. Wer vom Vorderschiff zum Heck wollte, musste über das Bootsdach klettern. Die Emigranten hatten meist einen Behördenmarathon hinter sich. Wer leibeigen war, musste sich freikaufen, Unverheiratete zahlten Brautlaufgebühren, mussten dann aber in Ulm feststellen, dass vorrangig Verheiratete an Bord genommen wurden. In der Ulmer Wengenkirche herrschte damals Hochbetrieb, denn Hunderte entschlossen sich spontan zur Eheschließung, um auswandern zu können. Wie viele Auswanderer es wirklich waren, kann nur geschätzt werden, denn eine verlässliche Statistik aus jener Zeit gibt es nicht.[…]



Bild: Abfahrt der Schachteln in Ulm - von Michael Zeno Diemer (1867-1939) Gemälde in Privatbesitz